Anfang 2018 war ein ehemaliges Mitglied der türkischen Streitkräfte nach einer Hirnblutung in der Gefängnisanstalt von Silivri gestorben. Jetzt wird ein skandalöses Detail bekannt.
BOLD — Kemal Uçar ist Rechtsanwalt und hat viele ehemalige Militärangehörige und Auszubildende vertreten, die im Rahmen des Putschversuchs 2016 verhaftet wurden. Aufgrund seiner Mandanten wurde auch Uçar verhaftet und musste ein Jahr lang im Gefängnis verweilen. Uçar wurde im Silivri-Gefängnis in Istanbul untergebracht. Dort sind viele Kritiker des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan inhaftiert. Kürzlich wurde Uçar aus der Haft entlassen und bringt einen skandalösen Fall an die Öffentlichkeit.
Dabei geht es um einen Fall von Anfang 2018, in dem ein ehemaliges Mitglied der türkischen Streitkräfte, Oberst Adnan Çetin, nach einer Hirnblutung im Gefängnis starb. Der Rechtsanwalt Kemal Uçar spricht von Mandanten, die den Tod Çetins miterlebt haben sollen. “Adnan Çetin fühlte sich während der Haft schlecht. Vermutlich war die Arbeitszeit schon vorbei, weshalb er erst nach mehrere Aufforderung ins Gefängniskrankenhaus gebracht werden konnte. Er bekam dort ein Serum“, erzählt der Anwalt: “Weil das Serum den Blutfluss beschleunigt, wurde auch die Hirnblutung dementsprechend beschleunigt. Anschließend brachte man ihn zurück in die Zelle. Zu dieser Zeit konnte er nicht einmal mehr laufen”, so der Anwalt weiter.
Nach neun Stunden was es schon zu spät
Die Zunge des Inhaftierten sei dabei stark angeschwollen und seine Augen verdreht gewesen. Als seine Mitinsassen seinen Zustand sahen, hätten sie auf die Notfallklingel gedrückt um Hilfe zu holen. Dazu der Anwalt weiter: “Sie schauten sich ihn an und gingen wieder. Dann drückten seine Mitinsassen noch einmal auf die Klingel und schrieben eine Notiz, die sie vor die Kamera hielten. Darauf stand `Dieser Mann wird sterben`. Anschließend brachte man ihn ins staatliche Krankenhaus von Silivri. Die Ärzte erkannten eine Hirnblutung und sagten, dass ein Neurochirurg dringend eingreifen müsse. Dann wurde er ins Sadi Konak Krankenhaus in Bakırköy geschickt. Insgesamt vergingen dabei neun Stunden. Als er in diesem Krankenhaus ankam, erfolgte der Hirntod.”
Kommandant muss ein Jahr auf Bluttest-Ergebnisse warten
Der Anwalt Uçar erzählt, dass er auch andere erkrankte Mandanten hatte, die eine Haftstrafe absitzen mussten. So beispielsweise ein Kommandant der Ausbildungsstätte der Luftstreitkräfte. Dieser hatte Probleme im Darmtrakt und hätte ein Jahr lang auf die Ergebnisse seines Bluttests warten müssen.
“Er hat ständig an Gewicht verloren. Er hatte einen Bluttest gemacht und musste ein Jahr lang auf die Ergebnisse warten. Sie hätten die Berichte verloren, hieß es. So musste der Prozess von vorne beginnen. Die Sensibilität fehlt”, so Uçar. Und der Anwalt hat eine Vermutung: “Diese Leute werden in den Medien als Vaterlandsverräter und Terroristen abgestempelt. Einige von ihnen glauben, dass es besser wäre, diesen Menschen mit Abstand und Härte zu begegnen und ihnen Schwierigkeiten zu bereiten.”
Seltsame Kriterien, um einen Gülen-Anhänger beim Militär zu erkennen
Kemal Uçar spricht von einem Gespräch mit einem Militärangehörigen, der derzeit immer noch bei den türkischen Streitkräften aktiv ist. Dieser habe ihm von einem Gespräch mit seinem Kommandanten erzählt. Der Kommandant habe ihm gesagt, dass er einen `FETÖ-Anhänger an seinen Augen erkennen könne.` [Anm. d. Red.: Die türkische Regierung bezeichnet Anhänger der Gülen-Bewegung als FETÖ-Anhänger]. Das erkenne er daran, wenn beispielsweise ein Soldat in einem bestimmten Rang eine hohe Punktzahl im Sprachtest habe oder … bei einem Auslandseinsatz der NATO von seinen Vorgesetzten gemocht wird und von Vorgesetzten eine volle Punktzahl im Verhalten bekommt. Man würde also quasi den Erfolg bestrafen. Das seien die Kriterien, berichtet der Militärangehörige.